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Warum bin ich so erschöpft? – Chronisches Fatigue-Syndrom bei Kindern und Jugendlichen

Es gibt kaum etwas Niederschmetternderes, als mit anzusehen, wie das eigene Kind leidet. Als „Fatigue“ wird in der Fachsprache der Zustand einer ausgeprägten chronischen Erschöpfung bezeichnet, die als Folge verschiedener Grunderkrankungen eintreten kann. Eine Fatigue-Diagnose kann überwältigend sein und sie wirft viele Sorgen und Fragen auf.

Wenn die Müdigkeit nicht aufhört

Was ist das Chronische Fatigue-Syndrom (CFS)?

Bei Fatigue denken die meisten an Müdigkeit oder Erschöpfung – aber diese Begriffe beschreiben nicht einmal annähernd die Dramatik des Geschehens, das junge Menschen vollständig aus ihrem Alltag reißen kann.

Das Chronische Fatigue-Syndrom gilt als neurologische Erkrankung, das in Verbindung mit einer chronischen Erkrankung oder als Folge einer Virusinfektion oder einer bakteriellen Infektion auftreten kann. Die typischen Fatigue-Symptome sind:

  • Chronische Müdigkeit (die auch durch Schlafen nicht besser wird)
  • Kognitive Probleme („Brain Fog“)
  • Niedergeschlagenheit
  • Bleierne Erschöpfung (bis hin zur Bettlägerigkeit)
  • Extremer Energiemangel
  • Ausgeprägte Antriebslosigkeit
  • Lärm- und Lichtempfindlichkeit
  • Ängste

Manchmal halten diese Beschwerden nur einige Tage lang an; schlimmstenfalls bleiben sie jedoch Monate bis Jahre bestehen. Bei Kindern geht man von einem CFS aus, wenn die Symptome seit mehr als drei Monaten bestehen.

Auslöser von Fatigue (ME/CMS)

Bei 75-80 Prozent der Betroffenen beginnt die Erkrankung nach einem viralen oder bakteriellen Infekt (z. B. Pfeiffersches Drüsenfieber, Influenza, Coronavirus-Erkrankung oder Zecken-Borreliose).

Woran erkenne ich Fatigue bei meinem Kind?

ME/CFS bei einem Kind verlässlich festzustellen, ist für Eltern praktisch nicht möglich, Selbst Ärzt:innen stellt die Diagnostik bisweilen vor Herausforderungen. Den Grund dafür zeigen wissenschaftliche Untersuchungen. Sie zeigen, dass die Symptome in ihrer Intensität nicht gleichmäßig sind. Im Gegenteil: die Ausprägung der Krankheitszeichen und die Belastbarkeit eines Kindes können von Tag zu Tag sehr verschieden sein.

Die Forschung nach Altersgruppen zeigte altersbedingt unterschiedliche Ausprägungen von Merkmalen und Symptomen. Bei Kindern unter 12 Jahren waren die Leitsymptome Bauchschmerzen, Halsschmerzen und Schwindel, bei Kindern zwischen 12 und 18 Jahren waren es Kopfschmerzen und Depressionssymptome und bei jungen Erwachsenen über 18 Jahre stand vor allem die körperliche Schmerzsymptomatik im Fokus.

Unerlässlich: Die ärztliche Diagnose

Die oben aufgezählten Symptome können ein Hinweis auf Fatigue sein – vor allem, wenn sie über einen längeren Zeitraum bestehen. Wegen des komplexen Beschwerdebildes ist eine ärztlich-medizinische Diagnose jedoch unerlässlich, um geeignete Maßnahmen und Therapien zu planen und umzusetzen.

Begünstigende, auslösende und verstärkende Faktoren für ME/CFS

Weshalb erkrankt ein Kind, während das andere unter scheinbar gleichen Bedingungen gesund bleibt? Eine Antwort auf diese Frage wünschen sich viele Eltern betroffener Kinder. Doch die Wahrheit ist: eindeutige kausale Zusammenhänge sind bislang nicht bekannt.

Es scheint zwar begünstigende, auslösende und aufrechterhaltende Faktoren zu geben, aber selbst beim Zusammentreffen aller Faktoren kann nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass ME/CMS entsteht. Sie erhöhen lediglich die Wahrscheinlichkeit. Es gibt jedoch einige Merkmale, die eine Erkrankung wahrscheinlicher machen:

  • Weibliches Geschlecht
  • Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale (z. B. Perfektionismus, Selbstzweifel, geringes Selbstbewusstsein, hohe Anspruchshaltung, Neigung zum Grübeln, Introversion)
  • Stress / Überanstrengung
  • Traumatische Erlebnisse (Mobbing, Misshandlung, Unfälle, Verluste)
  • Emotionales Umfeld
  • Genetische Veranlagung / Genvariationen

Was Eltern wissen sollten

Genesung erfolgt nicht über Nacht. Doch mit dem nötigen Wissen über Energieverbraucher, Energiespender, Frühwarnzeichen und hilfreiche Strategien und mithilfe einer individuell angepassten Therapie, kann die Erkrankung sinnvoll unterstützt werden.

ME/CFS erfordert ein schier unendliches Maß an Geduld, sowohl von den Betroffenen selbst als auch vom Umfeld. Grundsätzlich haben junge Menschen zwar eine bessere Genesungsprognose als Erwachsene, dennoch kann der Heilungsprozess Monate bis mehrere Jahre brauchen.

Und man muss der Tatsache ins Auge sehen, dass das frühere Aktivitätsniveau vielleicht nie wieder vollkommen hergestellt werden kann. Dennoch ist jeder Heilungsfortschritt ein Gewinn für die Erkrankten.

Es gibt dabei sogar noch einen optimistischen Aspekt: Gesundheitsfördernde Verhaltensweisen, die während des Heilungsprozesses erlernt werden, sind eine gute eine Prophylaxe gegen Erkrankungen wie Schlaganfall, Schmerzerkrankungen, Burnout oder Herzinfarkt im späteren Leben.

Die „Acht Säulen der Stabilisierung und Genesung“ bei ME/CFS

Diese Säulen der Genesung gelten als ein unterstützendes Konzept, für eine individuelle und ganzheitliche Gestaltung des Heilungsprozesses bei Fatigue. Sie sollte im Zusammenwirken aller Beteiligten fortlaufend besprochen und angepasst werden.

Pacing

Umsichtiges Einteilen der energetischen Ressourcen

Schlafoptimierung

Förderung von erholsamem Schlaf

Ernährung

Entzündungshemmende Ernährung; Stabilisierung des Blutzuckerspiegels; Versorgung mit Mikronährstoffen

Stabilisierung des Nervensystems

Techniken zur Beruhigung von Übererregung; Entspannungsübungen; traumasensitive Ansätze

Umgang mit Stress

Reduktion von physischen, emotionalen und mentalen Stressoren (Achtsamkeitstraining; psychotherapeutische Unterstützung)

Behandlung von Infektionen und Immunmodulation

Unterstützung des Immunsystems

Bewegung auf niedrigstem Niveau („bewegte Ruhe“)

Nur, wenn stabil: sanfte Bewegungen ohne Überforderung

Sinn und Hoffnung

Arbeit an einer positiven inneren Haltung; Sinnstiftung trotz Krankheit

Diese Struktur soll nicht dogmatisch verstanden und „abgearbeitet“ werden. Sie zeigt unterstützende Aspekte auf, denen Aufmerksamkeit geschenkt werden kann. Ein gutes therapeutisches Vorgehen hängt nicht nur von der Umsetzung der einzelnen Aspekte ab, sondern sollte das Kind bzw. den Jugendlichen in seiner aktuellen Erkrankungsphase beachten.

ME/CFS verläuft in der Regel nicht geradlinig, man kann sowohl voranschreiten als auch wieder Rückfälle erleiden. Jeder Moment stellt Kind, Eltern und Therapeuten vor andere Aufgaben, Chancen und Perspektiven. Wegen dieser besonderen Anforderungen, braucht die Begleitung durch Ärzt:innen und Eltern viel Geduld, Feingefühl und Kreativität.

Erschöpfungskrankheiten verstehen, erkennen und behandeln

Vertiefen Sie in unserem Live-Webinar „Von Fatigue bis Long-Covid: Erschöpfungskrankheiten verstehen, erkennen und behandeln“ Ihr Verständnis für diese oft verkannten und bisweilen fehlbehandelten Erkrankungen. Denn eine frühzeitige Diagnose und eine individuelle Therapie sind entscheidend für die Heilung.

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