In der psychotherapeutischen Arbeit mit komplex traumatisierten Menschen stoßen konventionelle Settings oft an ihre Grenzen. Die EMDR-Intensivtherapie, wie sie von Dr. med. Susanne Altmeyer in ihrer klinischen Praxis entwickelt und beschrieben wurde, eröffnet hier neue Perspektiven. Sie verbindet strukturierte Traumaverarbeitung mit systemischer Haltung, hypnotherapeutischen Elementen und einem tiefen Verständnis für die innere Erlebniswelt der Patient:innen. Für Fachpersonen aus Psychologie, Coaching und Beratung lohnt sich ein genauer Blick auf diese Methode – nicht nur wegen ihrer Effektivität, sondern auch wegen ihres Potenzials, therapeutische Prozesse neu zu denken.
Was ist EMDR-Intensivtherapie?
EMDR steht für „Eye Movement Desensitization and Reprocessing“ – ein Verfahren, das durch bilaterale Stimulation (z. B. Augenbewegungen, Töne, taktile Reize) die Verarbeitung belastender Erinnerungen unterstützt. In der Intensivtherapie wird EMDR nicht über Wochen verteilt, sondern in komprimierten Zeitfenstern von mehreren Stunden täglich über wenige Tage hinweg angewendet. Diese Verdichtung erzeugt eine therapeutische Dynamik, die in klassischen Settings kaum erreichbar ist.
Altmeyer beschreibt in ihrem Buch „EMDR-Intensivtherapie. Systemisch – fokussiert – effektiv“ eindrücklich, wie sie mit einer Patientin über fünf Tage hinweg täglich vier bis acht Stunden arbeitete – insgesamt 27 Therapieeinheiten. Die Ergebnisse waren nicht nur klinisch relevant, sondern auch emotional tief bewegend. Die Patientin führte parallel ein Tagebuch, das Einblicke in ihre Innenwelt während der intensiven Verarbeitung bot – eine seltene Gelegenheit, Therapie aus zwei Perspektiven zu betrachten.
Warum lohnt es sich, über EMDR-Intensivtherapie Bescheid zu wissen?
Die EMDR-Intensivtherapie ist nicht nur ein methodisches Konzept, sondern ein Paradigmenwechsel. Sie stellt die Frage: Was passiert, wenn wir Patient:innen nicht über Monate hinweg fragmentarisch begleiten, sondern ihnen für kurze Zeit unsere volle therapeutische Präsenz widmen?
Für Fachpersonen bietet dieses Wissen mehrere Vorteile:
- Verständnis für Zeit als therapeutischen Faktor: Die Intensivtherapie zeigt, wie Zeitverdichtung emotionale Prozesse beschleunigen und stabilisieren kann.
- Erweiterung des methodischen Repertoires: Die Kombination von EMDR mit systemischen, hypnotherapeutischen und ressourcenorientierten Techniken eröffnet neue Wege für die Arbeit mit komplexen Fällen.
- Vertiefung der Beziehungsgestaltung: Die therapeutische Haltung in der Intensivtherapie ist geprägt von Empathie, Klarheit und Präsenz – Qualitäten, die auch in kürzeren Settings Wirkung entfalten können.
- Impulse für die eigene Praxis: Auch wenn nicht jede:r Therapeut:in Intensivtherapie anbieten kann, lassen sich viele Elemente (z. B. die Ressourcenarbeit, die Strukturierung, die Haltung) in bestehende Settings integrieren.
Systemische Haltung und Ressourcenorientierung
Ein zentrales Element der EMDR-Intensivtherapie nach Altmeyer ist die systemische Grundhaltung. Die Therapeutin versteht sich als „Ressourcentrüffelschwein“ – eine humorvolle Metapher für die Suche nach inneren Kraftquellen. Diese Haltung durchzieht den gesamten Prozess: Statt sich ausschließlich auf das Trauma zu fokussieren, wird die Aufmerksamkeit immer wieder auf das gerichtet, was trägt, stärkt und schützt.
Die Arbeit mit inneren sicheren Orten, imaginativen Tresoren, der Bildschirmtechnik oder der Vier-Elemente-Übung sind Beispiele für diese ressourcenorientierte Praxis. Sie helfen Patient:innen, Kontrolle über ihre inneren Zustände zu gewinnen und sich selbst als handlungsfähig zu erleben – eine zentrale Voraussetzung für erfolgreiche Traumaverarbeitung.
Hypnotherapeutische und ego-state-orientierte Integration
Altmeyer integriert hypnosystemische Elemente, die auf Milton Erickson und Gunther Schmidt zurückgehen, sowie Konzepte der Ego-State-Therapie. Diese Ansätze ermöglichen es, mit inneren Anteilen zu arbeiten, die oft fragmentiert und abgespalten sind. Gerade bei komplexen Traumafolgestörungen ist diese Arbeit essenziell, um innere Kohärenz und Selbstwirksamkeit zu fördern.
Die therapeutische Beziehung wird dabei als dialogischer Prozess verstanden, in dem beide Seiten – Therapeut:in und Patient:in – Expert:innen sind: die eine für den Prozess, die andere für die eigene Lebensgeschichte.
Klinische Evidenz und Fallbeispiele
Das Buch enthält mehrere Fallgeschichten und Studien, die die Wirksamkeit der EMDR-Intensivtherapie belegen. Besonders eindrücklich ist die Geschichte einer Patientin, die unter schweren KPTBS-Symptomen litt und durch die intensive EMDR-Arbeit eine deutliche Stabilisierung und Symptomreduktion erlebte. Auch Studien aus den Niederlanden und Norwegen zeigen, dass intensive EMDR-Settings – kombiniert mit Psychoedukation, körperlicher Aktivität und Gruppenarbeit – signifikante Verbesserungen erzielen können.
Mehrwert für die Praxis
Für wen ist dieses Wissen besonders relevant?
- Psychotherapeut:innen, die mit komplexen Traumafolgestörungen arbeiten und neue Impulse für ihre Praxis suchen.
- Coaches und Berater:innen, die Klient:innen in belastenden Lebenssituationen begleiten und ihr Verständnis für psychodynamische Prozesse vertiefen möchten.
- Fachpersonen in psychosomatischen und psychiatrischen Einrichtungen, die über die Integration von EMDR in stationäre oder teilstationäre Settings nachdenken.
- Ausbildungsinteressierte, die sich mit innovativen Verfahren vertraut machen wollen und nach fundierten, praxisnahen Konzepten suchen.
Fazit: Mehr als Methode – ein Haltungskonzept
EMDR-Intensivtherapie ist nicht nur eine Technik, sondern ein Ausdruck einer therapeutischen Haltung, die auf Klarheit, Mitgefühl und Struktur basiert. Sie zeigt, wie tiefgreifende Veränderung möglich wird, wenn wir Menschen in ihrer Ganzheit sehen – mit ihren Verletzungen, aber auch mit ihren Ressourcen.
Wer sich mit dieser Form der Traumatherapie beschäftigt, gewinnt nicht nur methodisches Wissen, sondern auch ein vertieftes Verständnis für die Komplexität menschlicher Erfahrung und die Möglichkeiten therapeutischer Begleitung.
EMDR intensiv erleben: Hochstrukturierte Traumatherapie mit systemischem Tiefgang

Live mit Dr. Susanne Altmeyer
- Effektiv bei komplexen Traumata: Erfahren Sie, wie EMDR hochdosiert und nachhaltig wirkt – auch bei schwierigen Fällen.
- Fallbeispiel aus der Praxis: Lernen Sie eine strukturierte Technik kennen, die sofort in der eigenen Arbeit anwendbar ist.
- Systemische Perspektive: Verstehen Sie, wie EMDR in ein ganzheitliches therapeutisches Konzept eingebettet werden kann.
Dieser Beitrag basiert auf:
Altmeyer, Susanne. 2024. EMDR-Intensivtherapie. Systemisch – fokussiert – effektiv. Stuttgart: Klett-Cotta Psycholgogie.