Zwei Personen stehen einander gegenüber und halten sich sanft an den Händen. Beide tragen dunkle Jacken, und der Hintergrund ist hell und unscharf, was eine ruhige, minimalistische Stimmung erzeugt.

Bindung heilt: Wie frühe Beziehungserfahrungen unsere Partnerschaften prägen

Was brauchen wir für stabile Beziehungen? Paartherapeut Dr. Rudolf Sanders zeigt, wie frühe Bindungserfahrungen unser Beziehungserleben prägen. Auf Basis von Klaus Grawe erklärt er, wie Grundbedürfnisse wie Bindung, Kontrolle, Selbstwert und Zugehörigkeit wirken. Wer als Kind Sicherheit erlebt, kann sie weitergeben – wer sie vermisst hat, braucht neue Erfahrungen, etwa in der Therapie. Bindung heilt. 

Rudolf Sanders über Klaus Grawe

Der Wunsch nach gelingender Partnerschaft

„Hilf uns, unsere Ehe zu retten“ – dieser Satz begegnet Dr. Rudolf Sanders seit Jahrzehnten in seiner Praxis. Ob junges Paar oder langjährige Beziehung: Der Wunsch nach einer funktionierenden Partnerschaft ist zeitlos. Sanders sieht darin den zentralen Auftrag seiner Arbeit. Doch wie kann Paartherapie diesem Wunsch gerecht werden? 

Die Antwort fand er in der Lektüre von Klaus Grawe, insbesondere in dessen Werk „Psychologische Therapie“ (1998). Grawe betont, dass Therapie nicht mit vorgefertigten Konzepten arbeiten sollte, sondern mit echtem Zuhören beginnt: „Wichtig ist zu hören, was wollen die Menschen denn, die zu uns kommen?“ Diese Haltung prägt Sanders’ Arbeit bis heute. 

Bindung beginnt in der Wiege

Die Grundlage für gelingende Beziehungen wird früh gelegt – sehr früh. Sanders beschreibt anschaulich, wie ein Säugling durch verlässliche Fürsorge lernt, dass die Welt ein sicherer Ort ist. Wird auf Hunger, Kälte oder Unwohlsein prompt reagiert, entsteht nicht nur Bindung, sondern auch ein Gefühl von Kontrolle: „Ich kann etwas bewirken.“ 

Diese frühen Erfahrungen prägen das sogenannte „implizite Selbst“ – ein unbewusstes Erfahrungswissen, das später in Paarbeziehungen wieder auftaucht. Wer als Kind erlebt hat, dass seine Bedürfnisse zählen, kann auch als Erwachsener Nähe zulassen und geben. Wer hingegen emotionale Vernachlässigung erfahren hat, trägt oft tiefe Zweifel an der eigenen Liebenswürdigkeit mit sich.

Selbstwert und Zugehörigkeit als Grundpfeiler

Neben Bindung und Kontrolle nennt Sanders zwei weitere psychologische Grundbedürfnisse: Selbstwerterhöhung und Zugehörigkeit. Kinder, die beim Kochen helfen dürfen oder beim Spülen mitmachen, erleben: „Ich kann etwas. Ich gehöre dazu.“ Diese Erfahrungen stärken das Selbstbild und fördern soziale Kompetenz. 

Fehlen solche Erlebnisse, entstehen oft kompensatorische Muster: übermäßiger Leistungsdrang, ständige Suche nach Anerkennung oder Rückzug. In der Paarberatung zeigt sich das dann in Sätzen wie: „Ich kann machen, was ich will – es reicht nie.“ Oder: „Ich muss alles allein schaffen.“ Sanders betont: „Das sind keine Marotten, sondern Überlebensstrategien aus der Kindheit.“ 

Therapie als neue Beziehungserfahrung

Was tun, wenn diese Grundbedürfnisse in der Kindheit nicht erfüllt wurden? Sanders verweist auf Grawe: „Die müssen in der Therapie eine signifikant andere Beziehungserfahrung machen.“ Das bedeutet: Der Therapeut wird zur verlässlichen Bezugsperson. Er erklärt, was er tut, ist erreichbar, reagiert empathisch – und vermittelt so: „Du bist wichtig.“ 

Diese Haltung ist kein Zufall, sondern Teil eines therapeutischen Konzepts. Sanders nennt es die „Partnerschule“ – ein strukturiertes Kompetenztraining für Paare. Ziel ist es, alte Muster zu erkennen und neue Strategien zu erlernen. Dabei geht es nicht darum, Konflikte zu vermeiden, sondern Kontrolle über sie zu gewinnen. 

Wissenschaftlich fundiert und wirksam

Die Wirksamkeit dieses Ansatzes ist belegt. In mehreren Studien, darunter Masterarbeiten und standardisierte Befragungen, zeigte sich eine signifikante Verbesserung der Lebenszufriedenheit – insbesondere in den Bereichen Partnerschaft und Sexualität. Auch die familiäre Atmosphäre profitiert: Kinder erleben ihre Eltern als zugewandter, das Familienklima verbessert sich messbar. 

Sanders verweist auf eine Metastudie zur Wirksamkeit von Psychotherapie, die das sogenannte Kontextmodell bestätigt: Entscheidend ist die Haltung der Therapeutin oder des Therapeuten. Sie oder er muss ein plausibles Modell haben, Verantwortung übernehmen und überzeugt sein, helfen zu können. „Wir können nichts Altes wegmachen, wir müssen Neues hinmachen“, zitiert Sanders Grawe. 
 
Dr. Rudolf Sanders zeigt, wie tief verwurzelt unsere Beziehungsmuster sind – und wie sehr sie sich verändern lassen, wenn wir neue Erfahrungen machen dürfen. Seine Arbeit steht exemplarisch für eine moderne, beziehungsorientierte Psychotherapie, die nicht nur Symptome behandelt, sondern Menschen stärkt. Oder, wie Sanders es formuliert: „Ich bin für Sie da. Wenn Sie sich auf den Prozess einlassen, können Sie sich darauf verlassen.“ 

Rudolf Sanders

Rudolf Sanders, Dr. phil., Dipl.-Päd., Ehe-, Familien- und Lebensberater, Lehr- und Forschungstätigkeit im Bereich der Ehe- und Paarberatung, Begründer des Verfahrens Partnerschule, war bis 2016 Leiter der katholischen Ehe- und Familienberatungsstelle Hagen & Iserlohn. Er ist Mitglied im Vorstand der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugend- und Eheberatung (DAJEB) und Herausgeber der Online-Fachzeitschrift Beratung Aktuell. 

Buchtipp: 

Siehe auch: Das Beziehungskompetzenztraining für Paare  Verlag 

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