Kind mit Fernglas in der Natur. Es trägt einen grünen Eimer auf dem Kopf.

Kinder im Blick – Über die Kunst getrennt erziehende Eltern zur Kooperation zu gewinnen

Wenn Eltern sich trennen, leiden oft die Kinder. Im Interview mit Thomas Dobbeck zeigt Dr. Rudolf Sanders, wie das Programm Kinder im Blick den Fokus radikal verschiebt: weg vom Streit, hin zu dem, was Kinder wirklich brauchen. Ein Gespräch über Perspektivwechsel, Hoffnung und Wege aus der Spirale des Konflikts. 

Warum „Kinder im Blick“ für Beratungsstellen unverzichtbar ist

Im Gespräch mit Dr. Rudolf Sanders wird deutlich, vor welcher Aufgabe Beratungsstellen stehen, wenn Eltern „sehr strittig bis hochstrittig“ sind und „im Kampfmodus“ agieren. Die Erfahrung aus Paarberatung und Paartherapie: hochstrittige Elternpaare lassen sich nicht erfolgreich beraten, wenn die Aggression hoch und die Eskalationsstufen „längst alle durch, abgeklappert“ sind. Gerade in diesen Konstellationen rückt die fachliche Sorge um die Kinder ins Zentrum der Aufmerksamkeit. 

Hier setzt Kinder im Blick an. Das Ziel ist, „dass die Kinder möglichst wenig unter dieser Trennung leiden“. Nicht die minutiöse Verhandlung von Umgangsdetails („alle 14 Tage“, „rotes Sofa“, „Allerheiligen morgens/abends“) steht im Mittelpunkt, sondern die Haltung, die Perspektive der Kinder einzunehmen. Für Beratungsstellen und soziale Einrichtungen bedeutet das: Ein Format, das konsequent vom Erleben der Kinder her denkt – anstatt die Eltern um eine scheinbar logische Lösung zu gruppieren, die sich später „zur Lösung wird zum Problem“ wenden kann. 

Es geht nicht darum, rasch den Streit zu reduzieren, sondern um den Blick durch die Kinderaugen als tragfähige Grundlage aller weiteren Schritte. Genau dadurch entsteht für Beratungsstellen Mehrwert, weil Interventionen nicht an der Oberfläche bleiben, sondern die emotionale Welt der Kinder und die biografischen Trigger der Erwachsenen berühren. 

Das Programm „Kinder im Blick“ – Grundidee und Zielsetzung

Thomas Dobbeck stellt die Leitidee präzise heraus: „Die Grundidee ist, dafür zu sorgen, wenn Eltern sehr strittig bis hochstrittig sind und […] Kinder haben – dafür zu sorgen, dass die Kinder möglichst wenig unter dieser Trennung leiden.“ 

Kinder im Blick ist wissenschaftlich gut begleitet und „kommt ja aus der Münchner Uni“. Der Ansatz überzeugt dadurch, dass er nicht primär auf Verhandlungstechniken fokussiert, sondern auf den konsequenten Perspektivwechsel: Eltern werden „von Anfang an und immer wieder darin unterstützt, durch die Kinderaugen zu schauen – also die Perspektive der Kinder einzunehmen“. In diesem Sinne betont Dobbeck: „Ich sage immer: sich da rein einzubeamen.“ 

Das Angebot arbeitet im Gruppenformat und immer zwei Gruppen parallel. Es ist ein Format, das getrennt Lebende nicht zusammenführt, sondern trennungs‑logisch organisiert: Väter und Mütter nehmen teil, aber geschlechtergemischt – ausdrücklich nicht in reinen Männer‑ oder Frauengruppen. Dieser Aufbau verhindert das Bestärken von Feindbildern („furchtbare Furien“, „furchtbare Kerle“) und ermöglicht Erfahrungen, die Übertragung und Wut lösen: Ein getrennt lebender Mann begegnet getrennt lebenden Frauen und erkennt Ähnlichkeiten in Fühlen, Denken, Sorgen – jenseits von Zuschreibungen. 

Das Ziel ist klar umrissen: Räume schaffen, in denen Eltern die Perspektive der Kinder wirklich einnehmen können. Dadurch verändern sich Bewertungen, Handlungen und Lösungen – weg von scheinbar rationaler Erwachsenenlogik hin zu dem, was für Kinder stimmig ist. 

Drei zentrale Wirkprinzipien für nachhaltige Veränderung

Blaues Sternsymbol mit acht unregelmäßigen Zacken. In der Mitte steht eine große, schwarze Zahl „1“, die von einem weißen Rand umgeben ist.

Parallele Gruppen statt gemeinsamer Beratung 

Kinder im Blick bringt „die Eltern gar nicht gemeinsam in eine Gruppe“. Diese Entkopplung folgt der Logik der Trennung: Wer „sowas von getrennt“ ist, soll nicht im selben Beratungsformat konfrontiert werden. Für Beratungsstellen ist dies entlastend und wirkungsvoll, weil es Konfliktaktivierung vermeidet und gleichzeitig Bearbeitungsfähigkeit erhöht. 

Blaugrünes Sternsymbol mit acht unregelmäßigen Zacken. In der Mitte steht eine große, schwarze Zahl „2“, die von einem weißen Rand umgeben ist.

Geschlechtergemischte Gruppen gegen Polarisierung 

Väter und Mütter treffen in gemischten Gruppen zusammen. Dadurch schrumpfen Vorurteile „wie Schnee in der Sonne“. Gerade für hochstrittige Kontexte ist das entscheidend: Die Gruppe wird zum Erfahrungsraum, in dem Eltern an anderen erkennen, was sie bei sich nicht mehr sehen – etwa dass Leiden und Sorge um die Kinder keine Geschlechterfrage ist, sondern geteilt wird.

Blaues Sternsymbol mit acht unregelmäßigen Zacken. In der Mitte steht eine große, schwarze Zahl „3“, die von einem weißen Rand umgeben ist.

Der Blick der Kinder – konsequent und praktisch

Das dritte Wirkprinzip ist der konsequente Perspektivwechsel: „Die Eltern werden […] darin unterstützt, durch die Kinderaugen zu schauen.“ Dieser Fokus verschiebt die Beratung weg von der Erwachsenenrationalität hin zur Gefühlswirklichkeit der Kinder. Für die Praxis heißt das: konkret erleben statt nur reden – und genau hier zeigt das Gespräch, wie „Kinder im Blick“ in Beratungsräumen umgesetzt werden kann. 

Praxisnah: Wie Beratende den Perspektivwechsel fördern können

Ein Beispiel, das die Logik des Programms unmittelbar erfahrbar macht: Ein Paar findet eine rational klingende Lösung – die Übergabe des Kindes „Svenja“ an die Nachbarin. Die Mutter fühlt sich „bedroht“ und will dem Vater nicht die Haustür öffnen; an der Oberfläche wirkt die Regelung vernünftig. Doch Thomas Dobbeck hält inne: „Stopp. Stopp.“ Er benennt, dass Erwachsene diese Lösung ausgedacht haben – und zeigt, wie sie „die Lösung zum Problem“ für das Kind machen kann. 

Nun folgt der praktische Schritt: Im Beratungsraum wird die Szene durchgespielt. Die Mutter geht in die Hocke, um körperlich in die Rolle der Fünfjährigen zu kommen. Der Vater steht daneben, klingelt bei der Nachbarin, Floskeln werden ausgetauscht, Betretenheit liegt in der Luft. Der Break: Die Mutter soll in der Hocke bleiben – sie ist „immer noch die kleine Svenja“. Der Auftrag lautet: „Fühlen Sie mal. Fühlen Sie mal, wie sich das anfühlt.“ Dadurch wird die Emotionsebene geöffnet. Aus der Perspektive der Fünfjährigen entsteht ein anderes Wünschen: „Lieber direkt vom Papa nach Hause gebracht werden“, „er muss ja nicht reinkommen – aber wenigstens bis zur Tür.“ 

Dieses Beispiel zeigt, was das Gespräch immer wieder betont: Reden allein reicht nicht. Beratungsstellen brauchen Erfahrungswissen im Raum, Rituale und Stellvertretungen, die die Kind‑Perspektive konkret erfahrbar machen. Genau dadurch wird Weisheit sichtbar – „wie weise fünfjährige Kinder sind“, aber auch wie viel Weisheit in den Erwachsenen steckt, wenn sie den Zugang zur Gefühlswirklichkeit wiederfinden. 

Das Interview verweist außerdem auf die biografische Ebene: Nicht selten stehen hinter „hochstrittigen Eltern“ verletzte Kinder – eigene frühe Erfahrungen, die sich im aktuellen Konflikt mitaktivieren. In Erstgesprächen nutzt Dobbeck Kinderstühle, Stoffpuppen und die Drittperspektive („die kleine Erika“, „der kleine Georg“). Eltern sprechen „in der dritten Person“, um Distanz zu wahren; zugleich „schrumpfen“ sie innerlich und werden auf der kindlichen Ebene „zugänglich“. Von dort lässt sich wieder auf der Elternebene arbeiten. 

Für Beratungsstellen ist diese Doppelbewegung zentral: Emotionale Zugänglichkeit herstellen (Kind‑Ebene) und Verantwortung in der Elternrolle festigen. Das Gespräch zeigt, dass „Kinder im Blick“ genau dafür Struktur und Methodik liefert – als Kursformat mit parallelen, gemischten Gruppen und einem klaren Fokus auf die Perspektive der Kinder. 

Fazit: Ein Gewinn für Kinder, Eltern und Beratungsstellen

Das Interviews rückt eine entscheidende Haltung ins Zentrum: Konsequenter Kind‑Blick statt Erwachsenenlogik. Für Beratungsstellen und soziale Einrichtungen eröffnet Kinder im Blick einen wirksamen Weg, hochstrittige Konstellationen zu entlasten und zugleich die Kinder zu schützen. Die Wirkprinzipien – parallele Gruppen, geschlechtergemischte Zusammensetzung, konsequenter Perspektivwechsel – sind praxisnah, wissenschaftlich begleitet und in der Beratung unmittelbar umsetzbar. 

Die Stärke des Formats liegt in seiner Konsequenz: „durch die Kinderaugen schauen“, Gefühle real erfahrbar machen – im Raum, im Körper, im Kontakt. So werden vermeintlich logische Lösungen überprüfbar und korrigierbar, bevor sie „zur Lösung wird zum Problem“ werden.  

Thomas Dobbek

Diplom-Psychologe langjährige Leiter der Ehe-, Familien- und Erziehungsberatungsstelle des Kirchenkreises Bonn und arbeitet als Paartherapeut, Partnerschultrainer und Supervisor. 
Weitere Informationen: https://kleineschrittegrossefragen.de/https://www.kinder-im-blick.de/ 

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