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Die Bedeutung der Darm-Hirn-Connection in der psychotherapeutischen Praxis

Was hat der Darm damit zu tun, wenn die Seele leidet? Interessante Studien zeigen: Eine ganze Menge, denn das Mikrobiom wirkt sich nicht nur auf unsere körperliche Gesundheit und unser Wohlbefinden aus. Die Zusammensetzung der Darmflora beeinflusst auch Emotionen, Stressverarbeitung, Angststörungen, Depressionen und zahlreiche psychische Erkrankungen. Was bedeuten diese Erkenntnisse für Ihre psychotherapeutische Praxis?

Die sogenannte Darm-Hirn-Achse ist ein hochkomplexes Kommunikationssystem, das neurobiologische, immunologische und hormonelle Signale zwischen Gehirn und Darm in beide Richtungen überträgt. Damit hat sie eine tiefgreifende Bedeutung für die psychische Gesundheit.

Der Darm – unser zweites Gehirn?

Im Darm befindet sich das sogenannte enterische Nervensystem, dessen rund 100 Millionen Nervenzellen über den Vagusnerv unentwegt mit dem zentralen Nervensystem kommunizieren. Weitere Signale werden über neuroaktive Substanzen wie Serotonin, Dopamin und Gamma-Aminobuttersäure (GABA) übermittelt, die von Darmbakterien produziert werden. Diese mikrobiellen Stoffwechselprodukte beeinflussen unsere Stimmung, unser Verhalten, unsere kognitiven Fähigkeiten und sogar unsere Stresstoleranz.

Die mikrobiellen Mitbewohner unseres Darms reagieren hochsensibel auf unsere Ernährung, unsere Umwelt und unseren psychischen Zustand – und gestalten ihn dadurch aktiv mit. Chronischer Stress, zum Beispiel, wirkt sich negativ auf die Zusammensetzung des Mikrobioms aus, was zu einer gestörten Kommunikation mit dem Gehirn führt.

Wissenschaftliche Studien zeigen jedoch, dass der Weg auch andersherum funktioniert: Wird der Darm durch Ernährungsumstellungen, Präbiotika und Antioxidantien gepflegt, stärkt das nicht nur unsere körperliche, sondern auch unsere psychische Widerstandskraft.

Klinische Relevanz bei Depression und Ängsten

Einer der bekanntesten Wissenschaftler, die sich mit der Darm-Hirn-Connection beschäftigen, ist der Psychiater, Psychotherapeut und Neurowissenschaftler Prof. Dr. Gregor Hasler. Seine Studien zeigen, dass Veränderungen in der Zusammensetzung des Mikrobioms mit depressiven Symptomen korrelieren.

Hasler hat über viele Jahre die Ernährung seiner Patient:innen, die an Essstörungen, Übergewicht, Depressionen, Suchterkrankungen, Psychosen, Stress-, Angst- und bipolaren Störungen litten, mittels Ess-Tagebüchern erfasst und schrittweise verändert. Er konnte dabei feststellen, dass die Verbesserung von Essrhythmus, Nahrungsspektrum und Nahrungsmenge maßgeblich zu einem positiven Therapie-Resultat beigetragen haben: Die körperliche Fitness kehrte zurück, psychische Probleme traten in den Hintergrund und im Leben der Betroffenen eröffneten sich plötzlich neue, zuvor ungeahnte Möglichkeiten.

Darm und Hirn: Ein Organ

Neueste Forschungen zeigen: Darm und Hirn sind in vielerlei Hinsicht ein Organ. Störungen der Darm-Hirn-Connection tragen zu den häufigsten Krankheiten bei, welche die Lebenszeit massiv verkürzen: Übergewicht, Diabetes und Herzkrankheiten. Sie führen aber auch zu psychischen und neurologischen Krankheiten wie Essstörungen, Depression, Schizophrenie, Autismus und Demenz.

Ein weiteres interessantes Forschungsergebnis zeigte, auf welch komplexe Art Asthma, Depression und Übergewicht miteinander verknüpft sind. Bei Bulimie entdeckten die Wissenschaftler, dass ein Dopamin-Mangel zur Ausschüttung des Hormons Ghrelin führte, was nicht nur zu Hunger führte, sondern parallel zu einer depressiven Stimmung. Bereits diese wenigen Beispiele, bestätigen eindrucksvoll, dass Hirn und Darm zusammen gedacht werden sollten.

Psychische Störungen durch den Darm verstehen

Hier geht es nicht um einfache Kausalitäten. Nicht jedes Stimmungstief ist ein schwerwiegendes Darmproblem. Dennoch weisen die Forschungsergebnisse ganz klar darauf hin: Das Mikrobiom kann ein fehlendes Puzzlestück in unserem Verständnis psychischer Erkrankungen sein. Wer also psychische Störungen verstehen und behandeln will, kommt am Mikrobiom nicht mehr vorbei.

Unsere Gesundheit liegt viel mehr in unseren Händen,

als wir es uns je vorgestellt haben.

(Dr. Gregor Hasler)

Was bedeutet das für die psychotherapeutische Arbeit?

Wir leben in einer aufregenden Phase, in der ein neues Verständnis der Darm-Hirn-Connection die Medizin sowie die Psychiatrie revolutioniert. Diese Revolution ist deshalb so spannend, weil sie neue Möglichkeiten in Aussicht stellt, Hirnkrankheiten vorzubeugen und zu behandeln.

Wird von psychologisch arbeitenden Therapeut:innen nun verlangt, auch noch Ernährungsexpert:in zu werden oder sich gastroenterologische Fachkenntnisse anzueignen? Sicherlich nicht. Dennoch kann ein grundlegendes Verständnis der Darm-Hirn-Connection die Praxis bereichern:

Symptomverständnis vertiefen

Warum bleibt eine depressive Symptomatik trotz klassischer Interventionen resistent? Möglicherweise lohnt sich ein Blick auf Lebensstil, Ernährung oder Verdauung.

Ganzheitlicherer Ansatz: Interdisziplinäre Kooperation stärken

Zusammenarbeit mit ärztlichen Kolleginnen, insbesondere bei somatoformen Störungen oder psychosomatischen Beschwerden.

Therapieprozesse individualisieren

Die Frage nach dem Bauchgefühl bekommt eine neue Dimension – und kann neue Gesprächsebenen eröffnen.

Ganzheitliche Ansätze in der Psychotherapie

Zusammen mit neuen Forschungsergebnissen tauchen oft simple Lösungen mit schnellen Heilsversprechen auf. Im Fall der Darm-Hirn-Achse steckt die Forschung jedoch noch in den Kinderschuhen. Viele Studien sind präklinisch oder basieren auf kleinen Fallzahlen. Deshalb sollte man bei der Annäherung an das Thema eine gesunde Skepsis behalten.

Doch auch wenn die Wechselwirkung zwischen Darm und Hirn noch nicht vollständig erforscht und verstanden wurde – es geht in die richtige Richtung. In einer Zeit, in der immer mehr Menschen unter chronischen Stresszuständen, Depressionen, Erschöpfung und diffusen Symptomen leiden, ist es an der Zeit, neue Perspektiven einzunehmen.

Körper und Geist (Psyche) als Einheit sehen

Immer mehr nähert man sich in der Medizin der Sichtweise an, Körper und Geist als eine Einheit zu begreifen. Auch die Psychotherapie hat sich in den letzten Jahrzehnten stark weiterentwickelt – kognitiv, emotional und interaktionell. Das körperliche Geschehen – und vor allem die Bedeutung des Darms bzw. dessen Mikrobioms als Teil der psychischen Verfassung zu verstehen, könnte weitere neue Wege im psychotherapeutischen Verständnis und in der Behandlung eröffnen.

Einladung zum Perspektivwechsel

Neugierig geworden? Dann laden wir Sie herzlich ein, beim Webinar mit Prof. Dr. Hasler dabei zu sein, um mehr über die faszinierende Wechselwirkung zwischen Darm und dem Gehirn zu erfahren.

Das Webinar zur Darm-Hirn-Connection richtet sich speziell an Therapeut:innen, die:

  • sich wissenschaftlich fundiert mit dem Mikrobiom und seiner Rolle in der Psychopathologie auseinandersetzen wollen
  • Anregungen für die eigene Praxis und neue Impulse für schwer verständliche oder therapieresistente Fälle suchen
  • einen Blick auf aktuelle Erkenntnisse, Fallbeispiele und therapeutische Optionen werfen möchten
  • praktische Tipps zur Verbesserung der Darm-Hirn-Connection durch eine darmfreundliche Lebensweise, um die körperliche und psychische Gesundheit gleichermaßen zu fördern
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