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3 Fragen an … Klaus Onnasch zu seinem Buch „Trauer und Freude“

Was geschieht in uns, wenn wir einen schweren Verlust erleiden? Welchem Stress sind wir dabei ausgesetzt, und welche heilenden Kräfte schützen uns? Klaus Onnaschs Buch „Trauer und Freude“ unterstützt Menschen, die einen schweren Verlust erlitten haben, sich selbst besser zu verstehen und einen eigenen Weg zu finden, in dem die Freude nach und nach wieder Platz findet.

Herr Onnasch, Sie haben ein Buch über den Zusammenhang von Trauer und Freude geschrieben. Dieser erscheint zunächst ungewöhnlich. Wie würden Sie die Verbindung der beiden Gefühle kurz zusammenfassen?

Beide Gefühle bewegen uns in Leib und Seele, ergreifen uns mit allen Sinnen. Beide Gefühle sind darauf ausgerichtet, dass wir uns mitteilen. Trauer wie Freude stecken an. Wenn wir diese Gefühle äußern können, erleichtert uns das oft und gibt uns neue Kraft, unser Leben zu gestalten. Nach einiger Zeit folgt auf Trauer oft Freude, manchmal gehen beide Gefühle direkt ineinander über, besonders dann, wenn wir uns verstanden und aufgenommen fühlen. So sagte eine Witwe: „Ich weiß gar nicht, wo meine Trauertränen aufhören und meine Freudentränen beginnen.“

Bei vielen Trauerfeiern kommt zunächst der Schmerz zum Ausdruck. Nachher werden dann bei gemeinsamem Essen und Trinken auch lustige Geschichten aus dem Leben des Verstorbenen erzählt, gemeinsam wird gelacht, viele fühlen sich in ihrer Trauer erleichtert.

Bei plötzlichem Tod allerdings kann es längere Zeit dauern, bis es zu solcher Erleichterung kommt. Manchmal jedoch wird das Äußern der Freude in der Trauerzeit als ungehörig empfunden. Es entsteht dann häufig ein schlechtes Gewissen, nach dem schweren Verlust fröhlich zu sein. „Darf ich wieder ausgelassen tanzen, wenn mein Mann vor kurzem gestorben ist?“

Das Buch will ermutigen, nach schwerem Verlust der Trauer wie auch der Freude Raum zu geben. Es wird gezeigt, wie die Verbindung beider Gefühle in afrikanischen Kulturen und auch in Mexiko (Tag der Toten) zum Ausdruck kommt. Im Christentum sind Passion und Osterfreude eng miteinander verbunden. Weiterhin werden im Buch auch neurobiologische Erkenntnisse dargestellt: Bei Trauer und Freude werden im Gehirn benachbarte Areale aktiviert, die eng verbunden sind. 

Im Themenfeld existieren bereits einige Modelle wie z. B. das von Elisabeth Kübler-Ross beschriebene Phasenmodell für den Sterbeprozess mit den Phasen: Nicht-Wahrhaben-Wollen, Zorn, Verhandeln, Akzeptanz. Sie beschreiben in Kapitel 5 ein Modell mit fünf verschiedenen Aspekten. Was zeichnet Ihren Ansatz aus?

Das Modell der Phasen von E. Kübler-Ross, das sich auf Sterbende bezieht, wurde allgemein auf die Prozesse in der Trauer übertragen und bestimmt noch heute vielfach das Verständnis der Trauer. Die Pionierin in der Trauerforschung bezweifelte später selbst eine solch klare Abfolge von Phasen.

Tatsächlich lässt sich diese Phasentheorie weder durch wissenschaftliche Erkenntnisse noch durch Erfahrungen von Trauernden nachweisen. Stattdessen hat sich in der Trauerforschung das duale Prozessmodell der niederländischen Wissenschaftler M. Stroebe und H. Schut weitgehend durchgesetzt. Dieses Modell geht davon aus, dass es in der Trauer zum Schwingen zwischen zwei Polen kommt: Der eine Pol ist auf den Verlust bezogen, der andere Pol auf die gegenwärtige und zukünftige Gestaltung des eigenen Lebens. Die trauernde Person pendelt immer wieder zwischen diesen beiden Polen hin und her. Einmal geht es um die Erinnerung an den verstorbenen Menschen, dann wieder um die Gestaltung der eigenen Zukunft.

Ich folge in meinem Buch diesem Ansatz, weite ihn jedoch aus. Bei dem Schwingen zwischen den Polen lassen sich folgende Aspekte unterscheiden: Neben Verlust und Neuorientierung geht es in der Trauer auch um ein ständiges Pendeln zwischen Arbeit und Erholung. Die harte Auseinandersetzung mit dem Verlust erfordert viel Kraft. So ist immer wieder Entspannung und Erleichterung notwendig, um Leben zu können. Auch pendele ich in diesem Prozess ständig zwischen mir selbst und anderen. Ich brauche Zeit, um innezuhalten und mich auf mich selbst zu besinnen, dann wende ich mich wieder anderen zu. Besonders wichtig ist auch das Schwingen zwischen mir und dem verstorbenen Menschen: Ich kann einen inneren Dialog führen, mich mit ihm auseinandersetzen und die weitere Beziehung zu ihm gestalten. In all dem kann sich mir ein weiterer fünfter Aspekt erschließen: Ich kann spirituelle Erfahrungen machen, die mir vor dem Verlust noch unbekannt waren: Gibt es Verbindungen über den Tod hinaus? Symbole und Rituale können mich da weiterführen. Dann wieder pendele ich in meinen normalen Alltag zurück, um ihn zu gestalten.

Dieses Modell des Schwingens in den fünf Aspekten lässt der trauernden Person einen weiten Spielraum. Ich kann jeweils herausfinden, was jetzt für mich dran ist und was mir jetzt guttut. Das hat auch Konsequenzen für die Trauerbegleitung. In ihr steht die trauernde Person im Zentrum. Ich versuche mich einzufühlen, was jetzt für sie dran ist und was ihr jetzt weiterführen könnte.

Können Sie beschreiben, welche Bedeutung die Thematik – Ihrer Meinung nach – aktuell hat?

1. Das Buch will dazu ermutigen, in einer Zeit, die von Krisen gekennzeichnet ist, innezuhalten, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und ihnen Raum zu geben.

Das kann in dreifacher Weise geschehen: In der persönlichen Lebensgeschichte war die Corona-Krise am Anfang besonders durch Ungewissheit, Angst, oft auch durch Erfahrungen von Aggressionen gekennzeichnet. Jetzt zeigt sich, dass sich das Innehalten in dieser Zeit besonders bewährt hat; das möchte ich über diese Krise hinaus beibehalten, für mich soll es zur „neuen Normalität“ gehören. Ich habe trotz Einschränkungen jetzt doch Möglichkeiten, Erfahrungen der Trauer auszutauschen, nicht nur über Fenster in der Zoom-Galerie, sondern auch in den leibhaften Begegnungen. Das ist in aller Trauer ein Grund zur Freude. Besonders die Jahresszeit im November gibt Möglichkeiten der Einkehr; Kerzen können angezündet werden, an Verstorbene zu erinnern und selbst in der Ruhe Licht zu finden. Ich kann den bevorstehenden Totensonntag auch als Ewigkeitssonntag verstehen und ihn in dieser Perspektive feiern. So kann ich in aller Trauer auch Freude erfahren.

2.  In der Deutschen Geschichte sehe ich Ereignisse, die Trauer und Freude auslösen.

In seiner Rede zum 9. November hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gerade beides miteinander verbunden: „Diese Ambivalenz auszuhalten, Licht und Schatten, Freude und Trauer im Herzen tragen, das gehört dazu, wenn man Deutscher ist“. Der 9.11.1938 mit der Verfolgung und Ermordung von Juden ist Grund zur Trauer und Erinnerungskultur, damit wir wach sind und widerstehen, wenn solcher Hass wiederkehrt. Der Fall der Berliner Mauer ist Anlass zur Freude, soll aber auch gerade so Motivation sein, für Gerechtigkeit und Solidarität einzutreten, damit sich Menschen nicht „abgehängt“ fühlen.
Das Teilen von Trauer und von Freude kann uns im Mitfühlen bestärken.

3. Weltweit bedrängt die Klimakrise.

In Glasgow und überall in der Welt trauern viele darüber, dass dieser Krise zurzeit nicht wirksam genug begegnet wird. Freude entsteht manchmal, in dem deutlichen Protest und Engagement zusammenzuhalten, zu kämpfen und sich dadurch gemeinsam wieder neue Kraft zu holen. Ein Symbol für die Zerstörung der Natur sind die sterbenden Wälder. Noch gibt es für uns Wälder, die heilende Wirkungen entfalten können. Durch sie kann ich gehen, in ihnen aus- und einatmen, in Trauer wie in Freude neue Kraft schöpfen, dann mit anderen kämpfen gegen die Zerstörung – und einen neuen Baum pflanzen.

Buchtipp

„Trauer und Freude – Das eigene Leben nach schwerem Verlust gestalten“ (2021, Klett-Cotta): Wie Trauernde ihre Emotionen besser verstehen können und was in schweren Stunden hilft.

  • Innovativer Ansatz zum Umgang mit Trauer
  • Wie Trauernde ihre Emotionen besser verstehen können und was in schweren Stunden hilft
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